Als Ronny Zipperlein im ausgehenden Sommer unerwartet von einer rumfuchtelnden Krankheit der Bandscheiben heimgesucht wurde, konnte er noch nicht erahnen, welche ihn begleitende Aura eines Tages ihn umgeben würde. Noch kämpfte er sich staksig vorwärts, konnte mit innerlichem Aufwand die unliebsamen Missbilden halbwegs verdrängen und täuschte dem Straßenleben Intaktsein vor. Meist ging er bewusst langsam, als ob er gedankenverloren sich der Welt präsentieren würde. Seine Schmerzrandale wurden immer vordergründiger und die gesunden motorischen Abläufe ließen sich kaum noch erraffen. Bald ging fast nichts mehr ohne ergiebige Rastzeiten auf irgendwelchen Bänken, er wurde sich seiner Lage bewusst und brauchte Hilfe.
Eine Umsorgungsfirma bot ihre Dienste an und so wurde er aus heiterem Himmel zum Klienten. Diese gravierende Änderung nahm er nur misstrauisch an, zumal er der Meinung war, bald fremdregiert zu werden. Alles was er bisher allein in seinen Gestaden ableisten konnte, bekam vom Gesundheitsservice eine abrechenbare Nummer: gewischtes Zimmer Nr. 11 b für 10,53 Euro. Damit sich die Sache rechnet, zweimal die Woche. Nicht nur Zipperlein, auch das Abendland der Spinnen betrachtete die Angelegenheit mit berechtigtem Argwohn. Die Kommandozentrale des Dienstleistungsunternehmens war in Gestalt der Chefin, Frau Gesine
Menetscher, bereits vorstellig geworden, die bei dieser Gelegenheit sogleich ihren Mitarbeiterstab benannte, der alsbald helfend einfliegen sollte. Das hatte den Vorteil, Abwechslung in die Bude zu kriegen.
Eine der wundersamen Angestellten, Schwester Anne, kündigte sich für den heutigen Tag an und Zipperlein geriet in Erstaunen, am 2. Weihnachtsfeiertag ins Visier der Dienstleisterin genommen zu werden. Das Ausweichen war unmöglich und so musste er dieses Aha-Erlebnis ohne Protest über sich ergehen lassen, wenngleich einige Verdauungsstörungen das Ereignis bereits im Vorfeld hörbar ahnteten. Innerhalb dieses Lärms gesellte sich die Hausklingel hinzu und Zipperlein hörte erstmals das Gurren einer Dame, die als Tagesneuigkeit den Einlass verkündete. Die Neue bewegte sich in der Art, als habe sie die letzten sechs Monate bereits bei Ronny Zipperlein übernachtet und seine Hypothese eines harmonischen Umfeldes geriet in Kürze aus den Fugen. Seine Blicke lenkte er in der Vergangenheit oft den Frauen zu, doch seltsamerweise graste er mit seinen Augen den Fußboden ab, das einstige Eldorado der femininen Zuneigung bekam eine Abfuhr und konnte durch die Erscheinung Annes nicht neu belebt werden. Herabströmendes Desinteresse verbreitete einen Zustand der außer Balance geratenen Selbstbewusstheit.
Der kleine runde Tisch im Küchentrakt, der noch wenige Minuten vor der unseligen Ankunft der Behelfsgouvernante die Zwiebackkrümel auffing, wurde Blickfang der weit aufgerissenen Augen der raumbeherrschenden Schwester. Ihre Augen starrten auf einen Aschebecher, in dem ein Teebeutel lag, der unachtsam von Ronny dort abgelegt wurde. Welch' ein hässlicher Anblick ! Schwester Anne verfärbte sich zum Feuersalamander und schnatterte: "Das kann ich nicht ab ! So etwas kann ich nicht sehn. Das wird sofort verändert !" Wie eine Furie schoss sie von ihrem Stuhl, um sich in Richtung Spüle zu begeben. Zipperlein hatte ebenso schnell reagiert und versperrte ihr den Weg : "Pfiffi, Platz !" Verstört nahm die unduldsame Schwester ihren Platz ein und Ronny Zipperlein reinigte ohne viel Aufhebens den kleinen Tisch. "So schnell geht das und genau so schnell ist er wieder schmutzig !", pulverte er und zündete sich eine Zigarillo an. Langsam zogen Ruhe und Frieden ins Unruhegebiet und das erste Beben bereinigte selbst sein Epizentrum.
Die erschütterungsfreie Zeit nutzte Ronny zur Selbstdarstellung, obschon der etwas stockende Redefluss keine umfassenden Hymnen zuließ. Das Echolot spuckte unklare Resonanzen in den Raum, so dass die ausgesuchten Attribute von magerer Gestalt und sämtliche Bemühungen fraglich blieben. Weitere Energien für solche Zwecke zu verschleudern, war sinnlos. So verebbte sang - und klanglos dieser unterbeleuchtete Komplex. Schwester Anne wirkte während der Darstellung wie eine Elster, der man die Eier ihres Geleges mit Briketts vertauschte. Sie räkelte sich, grapschte nach der Klientenkartei und startete eine Patientenbefragung. Ronny gab Auskunft und ein Zeichen, ihre Lautstärke um einige Dezibel mäßigen zu wollen, da der Sättigungsgrad der Beschallung bereits erreicht war.
Wie von einem ausschlagenden Pferd getroffen zuckte Ronny zusammen, als in Annes Tasche das Handy schrillte und Klingeltöne in nie dagewesener Schrecklichkeit von sich gab. Die ohrenbetäubende Klingelei erinnerte an eine Alarmanlage, die sich durch Lautstärke bemühte, Einbrecher in die Flucht zu schlagen. Die gleiche Heftigkeit nahm nun ihre Stimme an. Sie drehte Ronny ihren zierlichen Rücken zu und begann ein Geschrei mit ihrer Tochter zu veranstalten, während Ronny zusehen musste, mit welcher Urgewalt seine Küche beschallt wurde. "Frechheit", sagte er verhalten. Das Wortgefecht schien kein schnelles Ende zu nehmen und Ronny klatschte zweimal in die Hände, um sich phonetisch einzubringen : "Leiser bitte !"
Anne drehte sich zu Ronny und schnalzte : "Ich bin schwerhörig !"
Nach dem Telefonat war Schwester Anne aufgedreht und setzte sich : "Rauchen wir eine Zigarette zusammen." Die Hektikpause nutzte Ronny, um Anne zu fragen, weshalb sie eigentlich ihn besuchte. Da sie keinen Weihnachtsglückwunsch ihm gönnte, musste der Grund anderswo zu finden sein. "Also, weshalb sind Sie hier ?", wagte Ronny zu fragen. Im selben Moment keiferte sich Anne hoch und erklärte umständlich, sie wolle sich erst einmal ein Bild vom neuen Klienten machen, was bei Ronny nicht besonders gut ankam. Die erneute Lautstärke trieb ihm die Angst in die Glieder, derartige impulsive Äußerungen könnten unter Umständen einen Schmerzanfall auslösen. "Bitte sprechen Sie leiser."
Anne setzte die Maske des Wohlwollens auf und fragte, was denn bei ihm zu machen sei.
" Die Küche mache ich selbst sauber, allein die Fenster müssten mal geputzt werden. "
" Ich steige doch auf keine Leiter ! "
" Was denn, soll ich mit meinem Bandscheibenschaden ... "
" Man hat mir mal ausdrücklich gesagt, ich solle nie auf eine Leiter steigen ! "
" Aha, und die Fenster putzt der Heilige Geist. "
" Man kann ganz schnell von der Leiter fallen, nicht mit mir. "
" Okay, dann werde ich die Scheiben vom Rollstuhl aus mit dem Schrubber putzen ! "
" Na, die unteren Fensterscheiben könnte ich mal putzen, wo man ohne Leiter rankommt. "
" Und wenn mal eine Glühbirne ihren Geist aufgibt, wer kann diese mir wechseln ? "
" Weiß ich nicht, ich jedenfalls nicht. "
Erneut meldete sich ihre Alarmanlage und die Schreierei mit ihrer Tochter ging in die zweite Runde. Nachdem sie fertig war, schnappte sie ihre Kleidung und verabschiedete sich mit den Worten : " In diesem Jahr sehen wir uns nicht wieder. Da ich in der Nähe in der Prenzlauer Allee zu tun habe, kann man das verbinden. Ich habe jetzt einen dringenden Termin. Wiedersehn ! "
Ronny holte tief Luft und röchelte ihr hinterher : " Hoffentlich nicht !"
Gruß Dieter Raedel
Sonntag, 4. Januar 2009
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